Die Sage vom Kischtämännle


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Zu Lebzeiten war das Kistenmännle ein böser, geldgieriger Vogt auf dem Honberg. Er zog Zins und Zehnten ein für die Herrschaft, verlangte mehr als geschrieben stand und bestrafte hart, wenn er das Geforderte nicht bekam. Auch in den Notzeiten plagte er die Schuldner und war ein rechter Blutsauger. Er sammelte die Goldstücke in einer großen Kiste, die er im untersten Burgverlies versteckt hatte. Dort ging er nachts hinunter und zählte seinen Reichtum immer wieder. In den Gelassen nebenan jammerten die Gefangenen und schrien vor Hunger und Schmerzen; aber das rührte den kalten Mann nicht. Im Gegenteil, wenn die Gefangenen verhungerten, brauchte er ihnen schon nichts mehr zu essen geben. Diese Ersparnis gab wieder Geld in seine Kiste. So wurde die Kiste immer voller, aber die Schuld auch immer größer.

Als der Vogt alt war, konnte er sich von seinem Schatz gar nicht mehr trennen. Der Gedanke, dass er das Geld auf
Erden zurücklassen müsste, hatte ihn beinahe wahnsinnig gemacht. Eines Nachts, als er wieder auf seiner Kiste saß, schlug die Türe zu, und das alte Männlein war gefangen. Von innen war die Tür nicht zu öffnen, und er musste in seinem Gefängnis so elend verhungern wie die Gefangenen, die er hatte Hungers sterben lassen.

Zur Strafe aber musste er nach seinem Tode noch so lange als Geist umgehen, bis er seine großen Schätze ganz an Arme verschenkt hatte. Das ging nicht schnell und war nicht leicht, weil das Kistenmännle auch als Geist nicht anders als geizig sein konnte und weil halt auch die Armen nichts von seinem Sündengeld haben wollten.


Nach: Josef Zepf: Das Sagenbuch aus dem Donau-Bergland um Tuttlingen.